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Was hat die COVID-19-Krise mit unserem Bildungssystem gemacht?

  • Fakultät für Geisteswissenschaften, Erziehungswissenschaften und Sozialwissenschaften (FHSE)
    Luxembourg Centre for Educational Testing
    Universität / Zentralverwaltung und Rektorat
    22 April 2021
  • Kategorie
    Forschung, Universität
  • Thema
    Erziehungswissenschaft & Sozialarbeit

Die Universität Luxemburg und das Ministerium für Bildung, Kinder und Jugend präsentierten heute erste Erkenntnisse aus der ÉpStan (Épreuves Standardisées), der nationalen Schulmonitoring-Erhebung, von November 2020. Die Ausgabe 2020 von ÉpStan liefert repräsentative Daten zu Perspektiven über Homeschooling in Grund- und weiterführenden Schulen.

Large-Scale-Tests im Bildungsbereich liefern Informationen, die entscheidend dazu beitragen können, die Auswirkungen der COVID-19-Krise auf das Bildungssystem eines Landes zu verstehen und zu bewältigen. Die jährliche ÉpStan-Erhebung, die vom Luxembourg Centre for Educational Testing (LUCET) der Universität koordiniert wird, liefert vollständig repräsentative Daten von 25.000 Schülern*innen in Grund- und weiterführenden Schulen, 15.000 Eltern von Grundschülern*innen und Vergleichsdaten für 160.000 Schüler*innen der Grund- und weiterführenden Schulen.

Die ersten Erkenntnisse wurden von Prof. Antoine Fischbach, Direktor von LUCET, Claude Meisch, Minister für Bildung, Kinder und Jugend, und Prof. Stéphane Pallage, Rektor der Universität, vorgestellt.

Die vollständige Pressekonferenz können Sie sich auf der Webseite der Regierung ansehen.

Wichtige Erkenntnisse und Schlussfolgerungen

  • Die Ergebnisse der ÉpStan erlauben es nicht, von einem systematischen negativen Trend bei der Kompetenzentwicklung der Schüler*innen zu sprechen. Neben einigen Kompetenzverlusten, insbesondere bei den Tests zum Deutsch-Hörverstehen in Stufe 3, sind auch einige Kompetenzgewinne zu verzeichnen.
  • Insgesamt kamen Schüler*innen und Eltern mit dem Homeschooling gut zurecht, jedoch ohne sich daran sonderlich zu erfreuen.
  • Schüler*innen mit günstigeren Voraussetzungen (z.B. aus einem sozioökonomisch begünstigten Haushalt, einem höheren Schulzweig oder mit einer Muttersprache, die in Luxemburg auch im Unterricht verwendet wird) kamen mit der Pandemie besser zurecht. Deutlich zeichnet sich hieran ab, dass die Krise einige der bereits bestehenden Ungleichheiten im luxemburgischen Schulsystem weiter verstärkt hat.
  • Die Lehrkräfte scheinen die Kommunikationsformen und die Häufigkeit des Austauschs bewusst an den persönlichen Bedarf der Schüler*innen angepasst zu haben, um mit ihnen (und ihren Eltern) in Kontakt zu bleiben.

Lesen Sie die vollständige Powerpoint-Präsentation und weitere Ergebnisse unten.

„Bildung war von Anfang an eine wichtige Forschungssäule der Universität und ist heute als Forschungsschwerpunkt etabliert”, sagt Prof. Stéphane Pallage. „Als eine Institution, die der luxemburgischen Gesellschaft dient, hat die Universität kontinuierlich qualitativ hochwertige Forschung betrieben, um den Bildungsdialog zu fördern. LUCET veranschaulicht dieses Bestreben mit exzellenter, auf das luxemburgische Schulsystem zugeschnittener Forschung und Öffentlichkeitsarbeit.“

„Luxemburg ist nicht nur ein Vorreiter bei der Erprobung des COVID-19-Virus, sondern auch bei der pädagogischen Erprobung, die sich in der gegenwärtigen Pandemie als ein großer Vorteil erweist. Meines Wissens weiß heute kein anderes Land in dieser Granularität, wie sich die Krise und der damit verbundene Heimunterricht auf die Lernprozesse der Schüler auswirkt“, ergänzt Prof. Antoine Fischbach. „Natürlich ist das Testen kein Selbstzweck. Die Daten von ÉpStan lassen eher einfache Schlussfolgerungen und Empfehlungen zu, auf die wir dringend reagieren können und müssen, um zu verhindern, dass aus einer Gesundheitskrise eine Bildungskrise wird.“

„Das Virus greift Verwundbarkeiten und Schwachstellen an; im Allgemeinen und im Schulsystem. Unser Bildungssystem kämpft seit Jahrzehnten mit dem adäquaten Umgang mit immer vielfältigeren Schülerpopulationen. Die COVID-19-Pandemie hat diese Situation verschärft, da Schüler*innen, die statistisch gesehen ohnehin schon gefährdet sind, am stärksten betroffen sind“, so Fischbach abschließend.

„Die letzten Monate waren für alle Beteiligten ein echter Kraftakt. Ich möchte allen pädagogische Fachkräfte sowie den Schüler*innen und ihren Eltern für die gemeinsame Arbeit und Anstrengung danken,“ sagt Claude Meisch. „Trotz der enormen Herausforderung können wir heute den Schluss ziehen, dass Luxemburg verhindern konnte, dass die Gesundheitskrise eine Bildungskrise auslöst. Wir haben gute Chancen, diese beispiellose Krise ohne zu viele negative Folgen zu überstehen, wenn wir weiterhin in die geeigneten Mittel investieren.“

Weitere Ergebnisse und Resultate

Home-Schooling in der Grundschule – die Perspektive der Eltern basierend auf den ÉpStan-Elternfragebögen

Bewältigung

In allen Klassenstufen der Grundschule gaben die Eltern an, dass ihre Kinder im Allgemeinen sowie in den Fächern Mathematik und Französisch ziemlich gut mit dem Home-Schooling zurechtkämen. Das Home-Schooling im Fach Deutsch wurde hingegen als größere Herausforderung wahrgenommen, insbesondere in Familien aus sozioökonomisch benachteiligten Haushalten und/oder Familien, in denen kein Luxemburgisch/Deutsch gesprochen wird.

Infrastruktur

Auf Fragen zur technischen und materiellen Ausstattung in den Familien (z.B. Zugang zum Internet, zu einem Laptop/Tablet oder Büromaterial) antworteten die allermeisten Eltern, recht gut ausgestattet zu sein, wobei die Situation in sozioökonomisch begünstigten Haushalten noch etwas besser zu sein schien.

Motivation

Den Eltern zufolge war die Motivation der Schüler*innen während des Home-Schooling vergleichbar mit der im regulären Schulbetrieb, wobei Mädchen als etwas motivierter wahrgenommen wurden als Jungen. In Bezug auf den Spaß am Home-Schooling fielen die Antworten der Eltern allerdings weniger einheitlich aus und nur ungefähr die Hälfte gab an, dass das Home-Schooling ihren Kindern Spaß mache.

Zusätzliche Unterstützung

Während die Mehrheit der Schüler*innen den Angaben der Eltern nach bei Bedarf zusätzliche Hilfe von ihren Lehrkräften und/oder Klassenkamerad*innen erhielt, stimmte ein Viertel der Eltern dieser Aussage nicht zu. Zudem erhielten Schüler*innen aus sozioökonomisch benachteiligten Haushalten ein höheres Maß an zusätzlicher Unterstützung von ihren Lehrkräften und/oder Mitschüler*innen. Dies könnte ein Hinweis dafür sein, dass die Hilfestellungen der Lehrkräfte sich am tatsächlichen Bedarf der Schüler*innen orientierten.

Kontakt mit Lehrkräften

In der Grundschule standen Lehrkräfte und Schüler*innen/Eltern während der Zeit des Home-Schooling regelmäßig im Kontakt, meist über E-Mail oder digitale Kommunikationsdienste wie MS Teams oder Zoom. Es wurde aber auch von persönlichen Treffen mit Lehrkräften und/oder Besuchen berichtet. Die Ergebnisse zeigen überdies, dass die Lehrkräfte abhängig vom Hintergrund der Schüler*innen unterschiedliche Kommunikationswege nutzten. So berichteten sozioökonomisch benachteiligte Haushalte von häufigerem Kontakt mit den Lehrkräften, insbesondere in Form von zusätzlichen Anrufen, Textnachrichten und Briefen.

Vereinbarkeit von Arbeit und Home-Schooling

Im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Arbeit und Home-Schooling äußerten sich die Eltern im Allgemeinen weder positiv, noch negativ. Allerdings schätzten Eltern aus sozioökonomisch benachteiligten Haushalten ihre Möglichkeiten, Arbeit und Hausunterricht zu kombinieren, etwas positiver ein, was mit der Feststellung zusammenhängen könnte, dass diese Eltern im Allgemeinen über weniger Home-Office berichteten und insofern auch seltener mit der Aufgabe konfrontiert wurden, Home-Office und Home-Schooling unter einen Hut bringen zu müssen.

Home-Schooling in der Sekundarschule – die Perspektive der Schüler*innen basierend auf den ÉpStan- Schülerfragebögen

Bewältigung

Über alle Klassenstufen hinweg gaben die Schüler*innen der Sekundarstufe mehrheitlich an, mit dem Home-Schooling im Allgemeinen sowie in den Fächern Deutsch und Französisch recht gut zurechtgekommen zu sein. Anders als in der Grundschule wurde das Home-Schooling in Mathematik als besonders herausfordernd wahrgenommen. Betrachtet man die verschiedenen Schulzweige des luxemburgischen Sekundarschulsystems, kamen Schüler*innen des höchsten Zweiges am besten mit dem Home-Schooling zurecht, Schüler*innen aus den beiden anderen Schulzweigen gelang dies etwas weniger gut.

Infrastruktur

Auf Fragen zur technischen Ausstattung antworteten die allermeisten Schüler*innen, ziemlich gut ausgestattet zu sein, wobei die Situation in höheren Schulzweigen und/oder in sozioökonomisch begünstigten Haushalten etwas besser zu sein schien.

Motivation

Ungefähr die Hälfte der Schüler*innen war im Home-Schooling weniger motiviert als im regulären Schulalltag, wobei Mädchen sich als etwas motivierter einschätzten als Jungen. In Bezug auf den Spaß am Home-Schooling machten die Schüler*innen unterschiedliche Erfahrungen und immerhin jede/r Dritte gab an, dass das Home-Schooling weniger Spaß gemacht habe als der Präsenzunterricht. Im Vergleich zu ihren Mitschüler*innen aus den höchsten Schulzweig waren Schüler*innen der niedrigeren Schulzweige im Home-Schooling weniger motiviert und sie hatten daran auch weniger Spaß.

Zusätzliche Unterstützung

Die Schüler*innen der Sekundarstufe gaben mehrheitlich an, bei Bedarf sowohl zusätzliche Unterstützung von ihren Lehrkräften/Klassenkamerad*innen als auch von ihren Eltern/Geschwistern erhalten zu haben. Allerdings berichteten Schüler*innen aus dem höchsten Schulzweig häufiger von bedarfsorientierter, zusätzlicher Unterstützung durch ihre Eltern/Geschwister als Schüler*innen aus niedrigeren Schulzweigen..

Kontakt mit Lehrkräften

Die Schüler*innen der Sekundarstufe standen in regelmäßigem Kontakt zu ihren Lehrkräften. Als Kanäle dienten ihnen vornehmlich Kommunikationsdienste wie MS Teams oder Zoom, doch insgesamt waren die Kommunikationswege vielfältiger als in der Grundschule. Die Ergebnisse deuten außerdem darauf hin, dass die Lehrkräfte abhängig vom Schulzweig unterschiedliche Kommunikationskanäle nutzten, wobei Schüler*innen der niedereren Schulzweige häufiger Kontakt zu ihren Lehrkräften hatten, insbesondere in Form von Anrufen, Textnachrichten und Briefen. Schüler*innen aus dem untersten Schulzweig berichteten darüber hinaus vermehrt von persönlichem Kontakt mit ihren Lehrkräften.

ÉpStan-Testresultate in der Grundschule

Während sich die standardisierten Testresultate in den Zyklen 2.1 und 4.1 (im Vergleich zu früheren Kohorten) als stabil erwiesen, fielen die Leistungen im Zyklus 3.1 vor allem in den Bereichen Deutsch-Hör- und -Leseverstehen schlechter aus. Unabhängig vom sozioökonomischen Hintergrund der Schüler*innen und/oder der/den von ihnen zu Hause gesprochenen Sprache(n) verschlechterten sich die Testergebnisse der Drittklässler*innen im Deutsch-Hörverstehen wesentlich. Zudem schnitten Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Haushalten und/oder Kinder, die zu Hause kein Luxemburgisch/Deutsch sprechen, im Deutsch-Leseverstehen schlechter ab als Kinder aus sozioökonomisch begünstigten Haushalten und/oder Kinder, die zu Hause Luxemburgisch/Deutsch sprechen.

ÉpStan-Testergebnisse in der Sekundarstufe

Im höchsten Schulzweig der Sekundarstufe erwiesen sich die Ergebnisse aus den standardisierten Leistungstests in Französisch- und Deutsch-Leseverstehen sowie in Mathematik im Vergleich zu früheren Kohorten als stabil. Schüler*innen, die einen der unteren Schulzweige besuchten, erbrachten hingegen schlechtere Leistungen als frühere Jahrgänge. Darüber hinaus kamen Mädchen, die einen der höheren Schulzweige besuchten, mit der Situation offenbar etwas besser zurecht als ihre männlichen Klassenkameraden: In den Sprachtests erbrachten sie zum Teil bessere Leistungen als Mädchen aus früheren Jahrgängen. Unabhängig vom Schulzweig schnitten Schüler*innen der 9. Klasse aus sozioökonomisch benachteiligten Haushalten im Allgemeinen schlechter ab als ihre sozioökonomisch begünstigten Mitschüler*innen, insbesondere im Deutsch-Leseverstehen.

Schlussfolgerungen

Die Auswertung der standardisierten Tests sowie der Fragebögen für Eltern und Schüler*innen ergibt ein in sich schlüssiges Bild, das nicht nur die Bedeutung und Qualität der bei den ÉpStan erfassten Daten unterstreicht, sondern auch erste wichtige Erkenntnisse zu den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf das nationale Bildungssystem liefert. Folgende zentrale Schlussfolgerungen lassen sich aus den oben beschriebenen Ergebnissen ziehen:

  • Die Ergebnisse der ÉpStan erlauben es nicht, von einem systematischen negativen Trend bei der Kompetenzentwicklung der Schüler*innen zu sprechen. Neben einigen Kompetenzverlusten, insbesondere bei den Tests zum Deutsch-Hörverstehen im Zyklus 3.1, sind auch einige Kompetenzgewinne zu verzeichnen.
  • Insgesamt kamen Schüler*innen und Eltern mit dem Home-Schooling recht gut zurecht, jedoch ohne sich daran sonderlich zu erfreuen.
  • Schüler*innen mit günstigeren Voraussetzungen (z.B. aus einem sozioökonomisch begünstigten Haushalt, einem höheren Schulzweig oder mit einer Muttersprache, die in Luxemburg auch im Unterricht verwendet wird) kamen mit der Pandemie besser zurecht. Deutlich zeichnet sich hieran ab, dass die Krise einige der bereits bestehenden Ungleichheiten im luxemburgischen Schulsystem weiter verstärkt hat.
  • Die Lehrkräfte scheinen die Kommunikationsformen und die Häufigkeit des Austauschs bewusst an den persönlichen Bedarf der Schüler*innen angepasst zu haben, um mit ihnen (und ihren Eltern) in Kontakt zu bleiben.

Empfehlungen

Basierend auf diesen Schlussfolgerungen werden folgende Empfehlungen ausgesprochen:

  • Die Förderung des Deutsch-Hörverstehens und der mündlichen Kompetenzen in der Grundschule ist entscheidend und sollte so früh wie möglich beginnen.
  • Schüler*innen, die aus sozioökonomisch benachteiligten Haushalten stammen, die zu Hause keine der Unterrichtssprachen sprechen, oder die einen der niedrigeren Schulzweige besuchen, sollten unbedingt gezielt gefördert werden.

Ausblick

Die Ergebnisse der ÉpStan aus dem November 2020 liefern erste Erkenntnisse zu den Auswirkungen der COVID-19-Krise auf das nationale Bildungssystem. Doch erst die Auswertung der nächsten ÉpStan (im November 2021) wird zeigen, inwiefern die hier dargelegten Trends im weiteren Verlauf der Pandemie Bestand haben. Detailliertere Ergebnisse zu den ÉpStan 2020 werden Ende des Jahres im nächsten Bildungsbericht veröffentlicht. In der Zwischenzeit stehen die Testresultate von 2020 auf dem ÉpStan-Dashboard zur Verfügung, das Nutzer*innen einfache statistische Analysen im Browser ermöglicht.