
publiziert am 28. Januar 2021
Wie wirken die verschiedenen Impfstoffe? Und warum reagieren die Menschen unterschiedlich auf sie? Diese und andere Fragen haben wir Prof. Paul Wilmes, Mikrobiologe am Luxembourg Centre for Systems Biomedicine, gestellt. Als Sprecher der Research Luxembourg COVID-19 Task Force verfolgt er die Entwicklung der Pandemie sehr genau. In diesem Interview gibt er Einblicke in den aktuellen Stand der COVID-19-Impfstoffe.
Herr Prof. Wilmes, können Sie uns einen Überblick darüber geben, welche COVID-19-Impfstoffe derzeit erhältlich sind?
In Luxemburg sind derzeit zwei Impfstoffe gegen COVID-19 verfügbar, entwickelt von Pfizer/BioNTech und Moderna. Ein weiterer Impfstoff von AstraZeneca wird voraussichtlich zeitnah von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zugelassen werden. Es gibt jedoch noch einige weitere Vakzine, die derzeit in klinischen Studien getestet werden, so dass wir davon ausgehen können, dass im Laufe des Jahres weitere COVID-19-Impfstoffe zur Verfügung stehen werden.
Ferner gibt es auch den in Russland entwickelten Impfstoff "Sputnik-V", der aber bisher nicht von der EMA zugelassen wurde. Auch in China wurde ein Impfstoff entwickelt, jedoch zeigen aktuelle Daten, dass dieser eine recht niedrige Effizienz von nur etwa 50 % aufweist, im Gegensatz zu mehr als 94 % bei den Impfstoffen von Pfizer/BioNTech und Moderna.
Was ist der Unterschied zwischen diesen Impfstoffen?
Abgesehen von den Unterschieden in der Wirksamkeit liegen der Funktion der Impfstoffe unterschiedliche Mechanismen zu Grunde. Der chinesische Impfstoff verwendet inaktivierte Viruspartikel, um eine Immunantwort hervorzurufen. Dies ist ein klassischer Ansatz, der routinemäßig beispielsweise bei Impfungen gegen Tollwut und Kinderlähmung verwendet wird, aber auch oft zu mehr Nebenwirkungen führt.
Eine weitere Möglichkeit ist es, ein anderes Virus, wie zum Beispiel ein Adenovirus, als Träger zu verwenden, um Teile des genetischen Materials von SARS-CoV-2 in die Zellen einzuschleusen. Dies ist in der Vergangenheit ein Standardprinzip für viele Impfstoffe geworden. Die COVID-19-Impfstoffe aus Russland und von AstraZeneca basieren auf diesem Ansatz.
Eine neue Methode, die in den letzten zehn Jahren entwickelt wurde, besteht darin, den Einsatz eines Trägervirus zu umgehen und Teile der genetischen Information von SARS-CoV-2 in Form von mRNA direkt zu injizieren. Ein großer Vorteil dieser Technologie sind die vergleichsweise geringen Produktionskosten und die leichte Anpassbarkeit des Impfstoffs für den Fall, dass das Virus mutiert und der Impfstoff an Wirksamkeit einbüßt.
Der Typ des Impfstoffs bestimmt auch, wie viele Dosen insgesamt verabreicht werden müssen. Die derzeit zugelassenen Impfstoffe erfordern eine zweite Dosis nach ein paar Wochen, um eine optimale Wirkung zu erzielen. Einige Impfstoffe, die sich jetzt in der Endphase der klinischen Entwicklung befinden, müssen jedoch nur einmal verabreicht werden um eine Immunität zu entwickeln, was hoffentlich die Logistik der Impfverfahren in Zukunft vereinfachen wird.
Was passiert in den Zellen bei einer Impfung?
Im Allgemeinen ist eine Impfung ein künstlicher Weg, das Immunsystem Schlüsselmolekülen eines Erregers auszusetzen, gegen den Sie eine Immunität aufbauen wollen. Das Immunsystem erkennt bestimmte Teile von Proteinen des Erregers, die als Antigene bezeichnet werden. Solche Antigene können entweder direkt während des Impfvorgangs eingebracht werden oder indem man ihre genetische Information wie mRNA verwendet, um das Antigen innerhalb von Zellen zu produzieren. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass nur ein sehr kleiner Teil der genetischen Information des Virus bei der Impfung in die eigenen Zellen eingebracht wird. Es ist nicht möglich, aus diesen Fragmenten ein funktionsfähiges Virus zu erzeugen und somit kann die Impfung nicht die entsprechende Krankheit auslösen.
In jedem Fall wird das körpereigene Antigen buchstäblich auf der Oberfläche der Muskelzellen rund um die Injektionsstelle präsentiert. Das Immunsystem erkennt dieses Antigen als körperfremd und entwickelt daraufhin eine Abwehrreaktion.
Warum reagieren Menschen unterschiedlich auf Impfungen und warum sind diese nicht zu 100 % wirksam?
Obwohl der prinzipielle Wirkmechanismus eines Impfstoffs definiert ist, können die Reaktionen bei verschiedenen Personen unterschiedlich ausfallen. Bei manchen Menschen erkennt das Immunsystem das präsentierte Antigen möglicherweise nicht als Fremdpartikel und löst daher keine Immunreaktion dagegen aus. Außerdem könnte die Produktionsrate des Antigens in den Zellen bei manchen Menschen geringer sein, so dass nicht genug davon zur Verfügung steht, um das Immunsystem zu aktivieren.
Auch die vorherige Exposition der Person gegenüber anderen Viren kann eine Rolle spielen: Das Immunsystem könnte dieses virale Antigen möglicherweise leichter erkennen, wenn die Person in der Vergangenheit mit einem anderen, eng verwandten Coronavirus infiziert war, wie z. B. den Erkältungserregern. Wir wissen jetzt, dass es eine gewisse Kreuzreaktivität zwischen verschiedenen Coronaviren in Bezug auf unsere Immunantwort gibt, so dass Menschen, die Antikörper gegen andere Coronaviren entwickelt haben, möglicherweise eine andere Reaktion auf SARS-CoV-2 haben.
Dennoch ist es wichtig anzumerken, dass grundsätzlich jeder Mensch anfällig für eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus ist, da die Menschheit im Laufe der Evolution nicht mit diesem Virus in Kontakt gekommen ist. Infolgedessen gibt es im Vorhinein keine spezifische und effiziente Immunantwort.
Ist genügend Impfstoff für alle verfügbar? Wie lange wird es voraussichtlich dauern, bis alle Menschen in Luxemburg geimpft sind?
Im Moment gibt es zwei Nadelöhre: Das eine ist die Produktion des Impfstoffs an sich und das andere betrifft die Logistik der Verabreichung.
Die Hersteller fahren ihre Produktion ständig hoch und auch neue Impfstoffe sollen in naher Zukunft zugelassen werden, doch im Moment wurde die seitens der Hersteller versprochene Anzahl an Dosen nicht geliefert.
Um dennoch ein effizientes Impfverfahren für alle in Luxemburg zu gewährleisten, wurden nationale Impfzentren eröffnet. Einer der mRNA-Impfstoffe erfordert die Lagerung und den Transport bei extrem kalten Temperaturen von -80 °C, was den logistischen Aufwand sehr anspruchsvoll macht und daher eine Zentralisierung erfordert.
Die Europäische Union hat mit den Herstellern über die Anzahl der zu erhaltenden Dosen verhandelt, um sie entsprechend der Bevölkerungsgröße gleichmäßig auf die Mitgliedsstaaten zu verteilen. Somit ist auch die absolute Anzahl der in Luxemburg verfügbaren Dosen im Vergleich zu Ländern wie Frankreich oder Deutschland geringer. Gemäß der Gemeinsamen Einkaufsvereinbarung erhält Luxemburg 0,14% der von der EU bestellten Dosen, was auch dem Anteil der luxemburgischen Bürger in der EU entspricht. Das klingt wenig, aber es besteht eine gute Chance, die Impfung bis Ende 2021 für alle in Luxemburg ansässigen Personen anzubieten, soweit wir das jetzt beurteilen können. Entscheidend bleibt jedoch, dass sich so viele Menschen wie möglich so schnell wie möglich impfen lassen, um die Pandemie zu beenden.
Welches sind die Prioritätsgruppen für die Impfung und wer entscheidet, wann man zur Impfung eingeladen wird?
Die luxemburgische Regierung hat beschlossen die höchste Impfpriorität den Personen zu geben, die mit dem höchsten Risiko dem Virus ausgesetzt sind oder nach einer Infektion einen schweren Verlauf von COVID-19 entwickeln. Dazu gehören z.B. Angehörige von Gesundheitsberufen in Schlüsselpositionen sowie ältere Menschen oder Personen mit bestimmten Vorerkrankungen, welche die Wahrscheinlichkeit schwerer medizinischer Komplikationen in Verbindung mit COVID-19 erhöhen. Das Ziel dieser Strategie ist, die Zahl der Todesfälle zu minimieren und gleichzeitig ein funktionierendes Gesundheitssystem zu gewährleisten.
Letztendlich werden die Behörden entscheiden, wann die nächste Gruppe von Personen in das Impfzentrum eingeladen wird. Die Impfstrategie der Regierung orientiert sich an den Empfehlungen des nationalen Ethikrates. Kürzlich kündigte die Regierung Phase 2 der Impfstrategie an, in der Menschen über 75 Jahre und solche, die aufgrund bestehender Vorerkrankungen besonders anfällig für die Krankheit sind, geimpft werden sollen.
Weitere Informationen zu den Vorschriften und der Logistik des Impfverfahrens finden Sie auf der offiziellen COVID-19-Webseite.
Paul Wilmes, Professor am Luxembourg Centre for Systems Biomedicine (LCSB), im Spotlight |
Paul Wilmes ist Professor am Luxembourg Centre for Systems Biomedicine (LCSB) der Universität Luxemburg und Leiter der Forschungsgruppe „Systems Ecology“. Er promovierte 2006 an der School of Environmental Sciences der University of East Anglia in Norwich (UK), wobei er einen Teil seiner Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen (Deutschland) durchführte. Nach einem dreijährigen Postdoc-Aufenthalt an der University of California, Berkeley (USA), kehrte er Anfang 2010 durch ein ATTRACT-Stipendium des Luxemburger Nationalen Forschungsfonds (FNR) in seine Heimat Luxemburg zurück. Er baute seine Forschungsgruppe zunächst am Centre de Recherche Public - Gabriel Lippmann auf und wechselte später zum LCSB. Pauls primärer Forschungsschwerpunkt liegt in der Anwendung systembiologischer Ansätze zur Identifizierung von Schlüsselfunktionalitäten mikrobieller Gemeinschaften, einschließlich der mit dem Menschen assoziierten Mikroben. Seine Gruppe leistete Pionierarbeit bei der Entwicklung geeigneter Methoden zu systematischen molekularen Messungen von mikrobiellen Konsortien. Dies ermöglicht es zum Beispiel, Lebensstrategien verschiedener Populationen zu untersuchen und deren Zusammenhang mit genetischen und funktionellen Merkmalen herzustellen. Die gleichen Ansätze erlauben auch die Untersuchung von molekularen Mikrobiom-Wirt-Interaktionen. In diesem Zusammenhang hat seine Gruppe ein Model der menschlich-mikrobiellen gastrointestinalen Schnittstelle entwickelt, genannt HuMiX. Paul hat mehr als 80 begutachtete Publikationen verfasst. Er ist ein häufig eingeladener Redner bei internationalen wissenschaftlichen Symposien und akademischen Einrichtungen. Paul ist Mitglied mehrerer nationaler und internationaler wissenschaftlicher Organisationen und hat mehrere Preise für seine wissenschaftliche Arbeit gewonnen. Mehr über Paul Wilmes. |
URL: https://wwwde.uni.lu/coronavirus/vaccination/paul_wilmes | Datum: Donnerstag, den 08. Juni 2023, 07:03 |