
publiziert am 21. Januar 2021
Zum Zeitpunkt dieses Interviews wurden zwei COVID-19-Impfstoffe von den europäischen Behörden zugelassen, die beide eine Wirksamkeit von mehr als 94% aufweisen. Ein Teil der luxemburgischen Bevölkerung zögert jedoch noch, ob man sich impfen lassen soll oder nicht. Wir präsentieren Ihnen hierzu heute ein exklusives Interview mit Rudi Balling, Direktor des Luxembourg Centre for Systems Biomedicine (LCSB), der sich mit der Frage der Sicherheit und Bedeutung dieser Impfstoffe befasst hat. Darüber hinaus gibt er eine Erklärung für eine Frage, die sich derzeit viele Menschen stellen: "Wie ist es möglich, dass die COVID-19 Impfstoffe so schnell entwickelt wurden?"
Sehr geehrter Herr Prof. Balling, eine sehr häufige Frage zu den neuen COVID-19-Impfstoffen lautet: Warum konnten sie im Vergleich zu anderen Impfstoffen und Medikamenten so schnell entwickelt werden?
Als sich das SARS-CoV-2-Virus im Januar 2020 weltweit ausbreitete, war der wissenschaftlichen Gemeinschaft schnell klar, dass die Welt mit einem neuen gefährlichen Virustyp konfrontiert ist. Dies führte zu einem enormen persönlichen Einsatz der Forscher, einer Fokussierung von Bemühungen und Ressourcen der gesamten wissenschaftlichen Gemeinschaft weltweit, wie ich sie noch nie zuvor erlebt habe – und dies half sehr bei der Entwicklung wirksamer Impfstoffe.
Man sollte außerdem auch nicht vergessen, dass die Entwicklung von Impfstoffen an sich nicht neu ist, sondern auf eine Geschichte von mehreren Jahrzehnten zurückblickt. Im Fall von COVID-19 konnten Wissenschaftler von ihrem Vorwissen über die SARS- und MERS-Infektionen in den Jahren 2002 bzw. 2012 profitieren. Beides sind ebenfalls Typen von Coronaviren, gegen die seinerzeit ein Impfstoff entwickelt wurde. Die Forscher haben daher nicht bei Null angefangen, sondern alle ihre Ressourcen und Erfahrungen konzentriert und eingesetzt, um nun einen Impfstoff gegen das neue Virus zu entwickeln.
Wie konnte der Impfstoff in so kurzer Zeit angemessen getestet werden?
Die klinische Prüfung eines Impfstoffs ist in aufeinanderfolgende Phasen unterteilt. Normalerweise beginnt der Hersteller erst dann mit der Produktion eines Impfstoffs, wenn alle Testphasen abgeschlossen sind und der Impfstoff von den Behörden genehmigt wurde, um ein finanzielles Risiko zu vermeiden.
Angesichts der Dringlichkeit der COVID-19-Krise weltweit wurden jedoch die verschiedenen Prozesse wie Endprüfung, Genehmigung und Produktionsstart nicht nacheinander, sondern parallel durchgeführt, wobei ständig Informationen zwischen allen Beteiligten ausgetauscht wurden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Qualitätsstandards in irgendeiner Weise gesenkt wurden. Stattdessen wurden die Unternehmen von den Behörden finanziell abgesichert, damit sie das Risiko eingehen konnten, schneller als üblich voranzuschreiten. Von vielen parallel entwickelten Impfstoffen erfüllen die nunmehr zugelassenen die gleichen üblichen gesetzlichen Anforderungen wie alle anderen zuvor entwickelten Impfstoffe außerhalb der Pandemie.
Mit anderen Worten: Die derzeit auf dem Markt befindlichen COVID-19-Impfstoffe sind sicher?
Basierend auf mehreren Zehntausend Menschen, die bisher geimpft wurden, gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass die COVID-19-Impfstoffe Bedenken hinsichtlich der Sicherheit aufwerfen. Wie bei jedem Medikament können bei einigen Menschen Nebenwirkungen auftreten. Ich sehe jedoch keinen Grund, warum die COVID-19-Impfstoffe riskanter sein sollten als andere Impfstoffe, die seit vielen Jahren verwendet werden, da dieselben strengen Kriterien für ihre Zulassung angelegt wurden.
Wie kann die Impfung dabei helfen, mich zu schützen?
Bisher wissen wir, dass die Sterblichkeitsrate nach einer SARS-CoV-2 Infektion sehr stark vom Alter einer Person abhängt. Während ältere Menschen und andere Personen mit hohem Risiko möglicherweise mit einer Wahrscheinlichkeit von 1: 100 an dem Virus sterben, ist dieses Risiko für jüngere Menschen etwas geringer. Die Wahrscheinlichkeit, an dem Impfstoff zu sterben, befindet sich jedoch in der Größenordnung von Millionen, ist somit um ein Vielfaches unwahrscheinlicher im Vergleich zu einer Infektion, egal in welchem Alter. Wenn man sich diese Zahlen ansieht wird deutlich, dass eine Impfung, die vor dem Virus schützt, die Infektionssterblichkeit in allen Altersgruppen enorm reduziert.
Warum ist es wichtig, dass sich jeder impfen lässt? Reicht es nicht aus, nur die ältere Bevölkerung zu impfen?
Es ist durchaus zu erwarten, dass eine Impfung gegen COVID-19 das Ausmaß der Virusübertragung in gewissem Maße verringert. In diesem Sinne würde eine Nichtimpfung bedeuten, dass andere einem schweren und möglicherweise tödlichen Risiko ausgesetzt sind. Auch wenn man selbst keine Symptome hat, kann man das Virus dennoch an seine Familie, in der Schule oder bei Besuchen weitergeben. Dies würde letztendlich das gesamte Gesundheitssystem stark belasten, was sich wiederum auf die allgemeine Gesundheit auswirken kann. Obwohl also die individuellen Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion nicht für alle gleich sind, befreit dies nicht von der gesellschaftlichen Verantwortung, die ein jeder trägt.
In diesem Zusammenhang wird häufig der Begriff Herdenimmunität verwendet. Was bedeutet das?
Das Konzept der Herdenimmunität wird seit mehreren Jahrzehnten diskutiert. Im Prinzip beschreibt es einen indirekten Schutz der Bevölkerung durch die Menschen, die immun sind und das Virus nicht mehr übertragen können. Man stelle sich 1.000 Mausefallen nebeneinander in einem Raum vor. Wenn man einen Tischtennisball zufällig in den Raum wirft, löst dies eine exponentielle und nicht zu stoppende Kettenreaktion aus. Wenn man aber zuvor einen Teil der Mausefallen entfernt, sinkt dabei die Wahrscheinlichkeit einer Kettenreaktion, weil die Fallen zunehmend isoliert werden. Die Impfung folgt demselben Prinzip und reduziert die Anzahl der mit dem Virus infizierbaren Menschen, was zu einer Herdenimmunität führen kann. Wir wissen noch nicht genau, wann eine solche erreicht wird, da dies auch von unserem persönlichen Verhalten und vielen anderen Faktoren abhängt. Die Herdenimmunität wird jedoch umso schneller erreicht, je mehr Menschen geimpft und immun werden.
Was sind in Ihren Augen die unmittelbaren Herausforderungen, vor denen wir 2021 stehen?
Nun, es ist schwer, die Zukunft vorherzusagen, aber ich gehe davon aus, dass gegen Ende des Jahres jeder in Luxemburg die Möglichkeit erhalten haben wird, sich impfen zu lassen. Bis dahin ist es jedoch ein Wettlauf: Kürzlich wurde das Auftreten neuer Virusstämme aus Großbritannien und Südafrika bekannt. Ebenso können mit der Zeit andere potentiell gefährlichere Varianten auftreten, wenn das Virus nicht so schnell wie möglich gestoppt wird.
Letzten Endes könnte das Virus schließlich endemisch und Teil unseres Alltags werden. Idealerweise sind bis dahin genug Menschen entweder durch Impfung oder durch überstandene Infektionen geschützt, so dass das Gesundheitssystem nicht mehr so belastet wird wie jetzt.
Haben Sie noch eine abschließende Empfehlung?
Ich kann jedem nur empfehlen, sich impfen zu lassen. Persönlich wäre ich der Erste, der das tun würde. Auf diese Weise schützen Sie nicht nur sich selbst, sondern übernehmen auch Verantwortung für die Menschen um Sie herum. Alle in der Europäischen Union zugelassenen Impfstoffe wurden gründlich getestet, und es gibt keinerlei Grund anzunehmen, dass sie nicht sicher sind.
Rudi Balling, Direktor des Luxembourg Centre for Systems Biomedicine, im Spotlight |
Rudi Balling ist Direktor des Luxembourg Centre for Systems Biomedicine in Luxemburg (LCSB). Er ist ein Entwicklungsbiologe und Genetiker. Er studierte Ernährungswissenschaften an der Universitäten Bonn und an der Washington State University, USA, und promovierte in Humanernährung an der Universität Aachen, Deutschland. Nach Forschungsaufenthalten am Samuel Lunenfeld Research Institute in Toronto und den Max-Planck-Instituten in Göttingen und Freiburg wurde er 1993 Direktor des Instituts für Säugetiergenetik an der GSF in München. Von 2001 - 2009 war er wissenschaftlicher Direktor des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig. Im Jahr 2009 wurde er Gründungsdirektor des Luxembourg Centre for Systems Biomedicine, einem interdisziplinären Forschungszentrum an der Universität Luxemburg. Mehr über Rudi Balling. |
URL: https://wwwde.uni.lu/coronavirus/vaccination/rudi_balling | Datum: Dienstag, den 06. Juni 2023, 08:05 |